Jürgen Terhag

2. FC Köln - Flüchtlingschor

Beim 2. FC Köln handelt es sich um ein niederschwelliges Musikangebot für eine heterogen zusammengesetzte Gruppe von Flüchtlingen, die im Kölner Raum leben. Im Vordergrund steht das Musizier- und Gruppenerlebnis. Die Freude am gemeinsamen Singen und das Erlebnis der Mehrstimmigkeit im sozialen Kontakt kann auf einzelne stabilisierend und ermutigend sowie allgemein stärkend und gruppenbildend wirken. Eventuelle öffentliche Auftritte fördern und steigern diese Wirkung.

 

Das Projekt wendet sich an erwachsene Flüchtlinge, für die es im Gegensatz zu Kindern und Jugendlichen kaum Projekte gibt, obwohl für Letztere über Schulen und soziale Einrichtungen viel eher gesorgt ist als für Erwachsene, die oftmals in den Flüchtlingsunterkünften ohne regelmäßige Kontakte isoliert leben.

 

Alle Mitwirkenden werden dort abgeholt, wo sie musikalisch stehen, d.h. es wird notenfrei und ohne Festlegung auf bestimmte Chorstimmen (Sopran, Alt. Tenor, Bass) gesungen. Dadurch ist der Chor in jeder Besetzung singfähig und die Motivation wird nicht durch Notenlernen o.Ä. gehemmt. Um diese Ziele zu erreichen bietet sich das Chorsingen im Live-Arrangement an: Dabei entsteht völlig ohne Noten ein interessanter und abwechslungsreicher mehrstimmiger Chorgesang. Die Methode orientiert sich an notenfreien Vermittlungsprozessen in oral tradierenden Musikkulturen und kommt damit den kulturellen Erfahrungen einiger Flüchtlingsgruppen entgegen.

 

Das Singen im Live-Arrangement ist am Prozess orientiert: Ein Musikstück wird in der Probe wie im Konzert ‚live’ von der Gruppe geschaffen und passt sich dadurch immer wieder neu an deren Fähigkeiten und Bedürfnisse an. Auch andere methodische und musikalische Grundsätze des Live-Arrangements wie hoher Bewegungsanteil, maximale Singaktivität, große Flexibilität aller Chormitglieder, intensives Hören und verbesserte Intonation kommen den Möglichkeiten und Fähigkeiten der kulturell und leistungsmäßig extrem heterogenen Gruppe in einem Flüchtlingschor sehr entgegen.

 

So lassen sich auch musikkulturelle Einflüsse verarbeiten, die in unserer Notation nicht oder nur schwierig darstellbar sind wie andere Tonsysteme und Vokaltechniken, die in der abendländischen Musikkultur nicht vorkommen. Da über das Hören in der Probensituation live arrangiert wird, können so über Call-Call-Verfahren auch sehr ungewöhnliche Vokaltechniken von Menschen aus völlig verschiedenen Kulturkreisen in das Singen integriert werden.

 

Literatur

 

  • Jürgen Terhag / Jörn Kalle Winter: Live-Arrangement. Pattern zur Performance. Mainz 2011.

  • Jürgen Terhag: Warmups. Spielerische Übungen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Mainz 2009.